Mehr Teilhabe,
mehr Lebens­qualität

Wir alle haben den Wunsch nach sozialer Teil­habe und nach einer Umgebung, in der wir uns wohl­fühlen. Menschen, die aufgrund einer Erkrankung oder Einschränkung auf gesell­schaft­liche Barrieren stoßen, unter­stützt die Träger gGmbH dabei, sich diesen Wunsch nach Teil­habe zu erfüllen: Wir nehmen die Bedürf­nisse jedes und jeder Einzelnen in den Blick und stehen mit individueller Assistenz zur Seite. So schaffen wir Räume für mehr Teilhabe – Räume des Miteinanders und des Füreinanders.  

Um Menschen unter­stützen und ihnen gute Lebens­orte bieten zu können, braucht es die Zusammen­arbeit: Wir beteiligen uns an der Ver­sorgung im Bezirk, schließen Koopera­tionen mit anderen Einrich­tungen und Diensten und engagieren uns auch über­regional für psychiatrie­politische Belange. So werden wir neben den individu­ellen Bedarfen auch allge­meinen strukturellen Anforde­rungen gerecht und gestalten sie mit.

Unser Leitbild

Die Integration aller ermöglichen
Wir unterstützen Menschen dort, wo sie leben. Wenn sie, trotz anhalt­ender Beein­träch­ti­gungen, im eigenen Stadt­teil in einem vertrauten sozialen Umfeld wohnen, arbeiten und leben können, sehen wir unser Ziel erreicht.

Lange Zeit waren viele Betroffene gezwungen, Hilfs­angebote wahr­zunehmen, die weit außerhalb ihres Lebens­mittel­punktes lagen. Manche mussten in Kliniken verbleiben, weil sie nicht in die vorhandenen Betreuungs­konzepte passten.

Dadurch wurden viele Menschen dauer­haft ausge­grenzt, besonders diejenigen mit schweren Beein­träch­ti­gungen. Ein Miss­stand, der seit einigen Jahren mit einer engen Koope­ration ange­gangen wird: Alle Einrich­tungen und Dienste haben sich verpflichtet, die Unter­stützung gemein­sam zu arran­gieren. Jeder soll vor Ort ange­mes­sene Unter­stüt­zung erhalten. Niemand soll wegen Art, Schwere oder Dauer seiner Beein­träch­ti­gung von Leistungen aus­ge­schlossen sein.

Innerhalb dieses Hilfe­systems begleiten wir besonders auch die stark benach­teiligten Menschen. Werden sie aufge­fangen, so unsere Erfahrung, nützt das auch denen, die weniger beein­trächtigt sind. Damit Menschen mit Handicaps ein möglichst normales Leben führen können, brauchen sie den Respekt anderer. Wo immer abwer­tende Haltungen auf­tauchen, werben wir für ein Zusammen­leben mit Toleranz und Rücksicht – auf beiden Seiten, in immer neuen Anläufen.

Die Individualität jedes Einzelnen respektieren
Wir wollen ein Leben nach eigenen Bedürf­nissen ermög­lichen. Dafür schaffen wir Lebens­räume, die sich an den Wünschen der Nutzer ausrichten und die ihrer Individu­alität gerecht werden sollen. Dabei gehen wir mit den Grenzen der Individu­alität bewusst um.

Um sich wohl zu fühlen, möchte jeder nach eigenen Gewohn­heiten leben können. Wer Nacht­mensch ist, aber immer früh morgens geweckt wird, leidet. Wer Einzel­gänger ist, aber ständig in Gruppen leben muss, ebenso. Daher gehen wir auf die Bedürfnisse unserer Klienten ein. Ihre indivi­duelle Persönl­ichkeit zu schützen ist unser Ziel. Dafür lernen wir jeden Einzelnen genau kennen, seine Vorlieben und Möglich­keiten wie seine Lebens­geschichte. Wir fordern von uns, jedem offen und respekt­voll zu begegnen, auch dann, wenn wir seine Werte und Lebens­ziele persönlich nicht teilen.

Zugleich achten wir auf die Grenzen der Indivi­dualität. Sie beginnen, wenn ein Verhalten die Integra­tion in das gegebene Umfeld verhindert. Gefährdet jemand krankheits­bedingt andere oder sich selbst, sehen wir es als unsere Aufgabe, klare Regeln zu setzen; dies geschieht dann in Absprache und unter Kontrolle anderer beteiligter Personen und Einrichtungen.

Eine dauerhafte Begleitung gewährleisten
Wir wollen Rückhalt in einer stark verunsich­ernden Lebens­situation sein. Das Vertrauen, das dazu nötig ist, versuchen wir uns durch verläss­liche Begleitung zu verdienen.

Sich immer neu erklären müssen, ständig wechselnden Helfern die eigenen Probleme und Wünsche beschreiben müssen – das ist für viele Hilfs­bedürftige eine leidige Erfahrung. Durch verbind­liche persönliche Beziehungen stellen wir die Weichen, dass sich ein Miteinander entwickelt. So kann das Vertrauen entstehen, mit dem sich gemeinsam schwierige Alltags­situationen meistern lassen.

Dabei sind wir uns der Schatten­seiten solcher zwangs­läufig persön­lichen Bindungen bewusst. Es können sich Abhängig­keiten aufbauen, die den Weg zu mehr Selbstän­dig­keit erschweren. Deshalb reflek­tieren wir regel­mäßig die einzelnen Betreu­ungs­verhält­nisse, um Fehl­ent­wick­lungen früh­zeitig entgegen zu wirken.

Die Betreuung soll nicht länger binden als unbe­dingt notwendig. Wir regen an, unsere Begleitung zu beenden, wenn sie nicht mehr erforderlich ist.

Eine zuverlässige professionelle Zusammenarbeit arrangieren
Gute Rehabilitation und Behandlung umfassen verschiedene Formen der Unter­stützung. Alle Einrichtungen und Dienste müssen bei der Hilfe­planung an einem Strang ziehen. Daher arbeiten wir in einem regionalen Hilfe­system mit Anderen zusammen.

Wohnung, Arbeit, Freizeit – das Leben spielt sich immer an verschie­denen Orten ab. In jedem Bereich gelten eigene Anforde­rungen. Für die Helfer bedeutet das: Sie müssen für die einzelnen Felder eine jeweils geeignete Unter­stützung bereit­halten. Gleich­zeitig sollten diese unter­schied­lichen Hilfs­angebote am gleichen Ziel ausge­richtet sein.

Das erfordert einen regel­mäßigen, inten­siven Austausch aller beteiligten Institu­tionen und Dienste. Im Gemeinde­psychia­trischen Verbund in Reinickendorf verstän­digen wir uns mit dem Sozial­psychia­trischen Dienst, der Klinik und anderen Einrich­tungen und Diensten. Dabei stimmen wir auf Helfer­konfe­renzen unser Vorgehen ab und legen mit anderen an der gemein­samen Versor­gungs­verpflich­tung Beteiligten fest, wer welche Auf­gaben über­nimmt. Im Rahmen dieses Hilfe­systems bestehen wir auf verbind­liche Absprachen, denn nur so können wir unserer Verant­wortung für die von uns betreuten Menschen gerecht werden.

Eine offene und lernbereite Arbeitskultur schaffen
Psychosoziale Begleitung ist dann hilfreich, wenn die Mitarbeiter fach­lich und mensch­lich geeignet sind, sowie die not­wen­dige Unter­stützung und Förde­rung erhalten. Eine solche Arbeits­kultur zu schaffen, ist unsere tägliche Aufgabe.

Wer der Komplexität des Menschen gerecht werden will, braucht verschie­dene Blick­winkel. Daher beschäf­tigen wir Mitarbei­terin­nen mit unter­­schied­lichen profes­sio­nellen Hinter­gründen. Sie haben z. B. soziale, therapeu­tische oder pflege­rische Berufe erlernt. In den Betreu­ungs­teams fügen sich so die einzelnen Perspek­tiven zu einem Gesamt­bild zusammen.

Die wechsel­seitige Ergänzung wird zusätz­lich durch Psycho­login­nen und die jewei­ligen Leiter­innen der einzelnen Bereiche unter­stützt. Sie setzt sich fort im Wunsch, in der gesamten Organisation offen und kritisch mitein­ander im Gespräch zu sein. Unsere Mitarbeiter­in­nen werden in alltäg­liche und grund­sätzliche Entwick­lungs­prozesse einbe­zogen.

Noch weiter­gehend wollen wir Anregungen und Hin­weise von außen erhalten. Für uns eine Voraus­setzung, um schädliche Routinen zu vermeiden und um sensibel gegen­über unseren Klienten zu bleiben.

Deshalb fordern wir von unseren Mitarbeiter­in­nen einen aufge­schlos­senen Umgang mit anderen Sicht­weisen. Sie müssen koope­rieren können, über Berufs­gruppe, Arbeits­feld und Einrich­tung hinaus. Daher sind uns nicht nur die fach­liche Quali­fi­ka­tion wichtig, sondern auch Kennt­nisse anderer Bereiche und die Bereit­schaft, sich regel­mäßig fort- und weiter­zubilden. Die dazu not­wendige Unter­stüt­zung zu gewähr­leisten, betrachten wir als wichtigen Bestand­teil unserer Organisation.

Zusammen mit einer mensch­lichen Eignung ermöglicht das nicht nur ein verant­wortungs­volles Handeln gegenüber den Klienten. Kompetentes Personal kann sich auch über­zeu­gender für eine Verbes­serung der sozial- und gesund­heits­polit­i­schen Bedingungen einsetzen.

Die Rahmenbedingungen konstruktiv mitgestalten
Wir versuchen aus knappen Ressourcen das Beste zu machen. Zugleich weisen wir Fach­kreise und Politik auf Miss­stände hin. Wir wollen die Rahmen­bedin­gungen im Sinne der beein­träch­tigten Menschen verbessern helfen.

Die finan­ziellen Mittel für soziale Aufgaben sind begrenzt. Daher gehen wir sorg- und sparsam mit den vorhan­denen Ressourcen um. Die Prioritäten setzen wir nach den Anliegen der Nutzer – und nicht den kurz­fristigen Interessen unserer eigenen Organisation.

Andererseits wollen wir den Umgang mit den bereit stehenden Mitteln mitge­stalten. In den dafür maß­geb­lichen Gremien der Bezirke engagieren wir uns für eine gerechte Verteilung der Ressourcen und für Lösungen, die Integration möglich machen. Die Zuständigen in der Politik und in den Institu­tionen der Reha­bilita­tion erinnern wir daran, die beson­deren Bedürf­nisse unserer Klienten zu berück­sichtigen. Zugleich achten wir darauf, dass dies nicht zu Lasten anderer hilfs­bedürf­tiger Gruppen geht. Wir wollen keinen Wett­bewerb der Schwachen. Die Lebens­lage der betreuten Menschen zu verbessern ist nicht immer eine Frage des Geldes. Manchmal sind es auch ein­ge­fahrene Struk­turen, die geeignete Lösungen verhindern. Deshalb beteiligen wir uns aktiv am Gemeinde­psychia­trischen Verbund. Mit unserer fach­lichen Kompetenz tragen wir hier zur Ent­wick­lung der Verbunds­trukturen bei.

Manche Rahmen­bedin­gungen setzen der Verwirk­lichung unserer Leit­ideen Grenzen. Auch an diesen zu arbeiten, haben wir uns vorgenommen, wissend, dass Verände­rungen mitunter viel Zeit brauchen.

Geschichte des Trägers

Am Anfang war die Klinik
Seit 1970 waren in der alten Bundes­republik und mancher­orts in der ehe­maligen DDR lebhafte Diskus­sionen über die psychia­trische Versor­gung in Gang gekommen, teils politisch unter­stützt und initiiert, teils aus Fach­kreisen voran­ge­trieben. Bis dahin fand für die chronisch kranken Menschen eine eher verwah­rende Versorgung unter teils menschen­unwür­digen Bedin­gungen in Groß­kranken­häusern statt, während sich an den Universitäts­klinika ein eher medizi­ni­sches Modell von Behandlung für akut kranke Menschen etablierte. Erste sozial­psychia­trische Impulse zielten daher auf die Verbes­serung der Umstände in den Groß­kliniken, auf die Einführung von tages­klini­scher Behandlung und auf die Etablierung von Angeboten für psychisch erkrankte Menschen außerhalb von Krankenhäusern.

Im Westteil Berlins hatte sich die Psychia­trie­reform in den verschie­denen Bezirken seit Mitte und Ende der sieb­ziger Jahre des letzten Jahr­hun­derts sehr unter­schiedlich entwickelt. In einigen Bezirken waren neue Projekte initiiert worden; erste neue Einrich­tungen wie Wohn­gemein­schaften, Kontakt- und Beratungs­stellen und Über­gangs­heime entstanden. In Reinickendorf begann diese Entwicklung recht spät. Noch Mitte der 80er Jahre standen neben dem Sozial­psychia­trischen Dienst am Gesund­heits­amt nur zwei Wohn­gemein­schaften, eine neu gegründete Kontakt- und Beratungs­stelle sowie die große Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik zur Verfügung.

Die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik (KBoN) war viele Jahre lang für mehrere Bezirke Berlins aufnahme­ver­pflichtet gewesen; erst nach und nach wurden neue psychia­trische Abteil­ungen an Allgemein­kranken­häusern gegründet, die dann die Behandlung der Bürger ihres Bezirks übernahmen. In diesen Jahren befand sie sich, ähnlich wie viele andere große psychia­trische Fach­krankenh­äuser im Über­gang von der alten „Anstalt“ mit entsprech­enden Strukturen (Stationen nach Geschlechtern getrennt, über 1200 Betten in verschie­denen Abteil­ungen, große arbeits­therapeu­tische Bereiche bis hin zur inneren Infra­struktur mit Laden, Friseur, Bibliothek u. a., um dauer­haftes Leben in der Anstalt zu ermög­lichen) zu einem Krankenhaus, das die Behandlungs­qualität in den Mittel­punkt der Arbeit stellt. Erst Mitte bis Ende der 80er Jahre wurde die Klinik in den inneren Strukturen reformiert, Tages­kliniken außerhalb des Klinik­geländes wurden eröffnet, die Stationen bildeten sich um, die perso­nelle Situation verbes­serte sich und es entstand das Bewusst­sein, dass ein Kranken­haus kein Ort zum dauer­haften Leben sei.

Für nahezu alle schwer akut oder chronisch psychisch kranken Bürger des Bezirks Reinickendorf mit über 250.000 Einwohnern bedeutete die damalige Situation des Mangels an Alter­na­tiven, entweder länger­fristig in der Klinik behandelt zu werden, also dort zu leben, oder weiter­führende Hilfen außer­halb Reinickendorfs in Anspruch nehmen zu müssen. Häufig wurden für Menschen mit längerem Behand­lungs­bedarf Plätze in Alten­heimen, psychia­trischen Übergangs­heimen oder in einer der schon recht zahl­reichen Wohn­gemein­schaften irgendwo in Berlin gesucht. Für die davon betroffenen Menschen bedeu­tete dies in aller Regel, sich bei den Einrichtungen oder deren Trägern einem Bewer­bungs­ver­fahren um einen „Wohnplatz“ unterziehen zu müssen und selten in der Nähe ihres ange­stammten Lebens­bereichs ange­mes­sene Hilfen erhalten zu können.

Im damaligen Bezirk Wedding, für den die KBoN eben­falls das zustän­dige aufnahme­ver­pflich­tete psychia­trische Kranken­haus war, standen zwar schon früh mehr Angebote als in Reinickendorf zur Verfü­gung, durch die „Bewerbungs­situation“ waren aber auch in diesem Bezirk nicht wenige Menschen auf Hilfen in anderen Bezirken angewiesen. Seiner­zeit waren diese Bewer­bungs­ver­fahren durch­aus üblich, denn einer großen Zahl von hilfe­suchenden Menschen stand nur eine geringe Zahl von Angeboten gegenüber.

Diese Angebote waren sehr häufig aus einem bestimmten Interesse von aktiven und engagierten Mitarbeitern und Studenten entstanden, die meist ein beson­deres Konzept, also z. B. Hilfen für eine definierte Ziel­gruppe oder feste Regeln in der Wohn­gruppe, realisieren wollten. Diese Konzepte sollten dazu dienen, den Menschen, die sich auf die Wohn­gruppe einließen, im Sinne von Förderung und Reha­bili­tation möglichst intensiv zu helfen. Jede Art von einrichtungs­bezo­genem Konzept erfordert aber eine Auswahl von geeigneten Menschen für das Konzept. Daraus resul­tieren dann die Vorstel­lungs­gespräche bei den Vereinen und in den Gruppen. Wer nicht ins Konzept passte, wurde eben nicht aufge­nommen und musste weiter­suchen. Daher war es nicht weiter verwun­derlich, dass es gerade die Menschen mit viel­fältigen Problemen sehr schwer hatten, ein geeig­netes Angebot zu finden und deshalb oft in der Klinik bleiben mussten. Manche dieser Menschen kamen auf diese Weise zu Kranken­haus­aufent­halts­dauern von dreißig und mehr Jahren.

Neben den psychisch erkrankten Menschen lebte in der Klinik eine große Zahl von Menschen mit einer geis­tigen Behin­derung, die im Laufe ihres Lebens aus Heimen, Kinder­heimen – im Einzelfall auch aus Familien – in die Klinik gebracht worden waren, weil sie als „zu schwierig“ für „normale“ Heime galten und/oder von den Heimen nach einem Aufent­halt in der KBoN nicht wieder aufgenommen worden waren.

In ähnlicher Weise lebten in der Abteilung für Abhängig­keits­kranke chronisch sucht­kranke Menschen, die immer wieder rück­fällig geworden waren und daher auch in Heimen nicht aufge­nommen bzw. nach kurzer Zeit wieder in die Klinik zurück­gebracht wurden.

Über die Grenzen denken
1985 gründeten nun einige Menschen in verant­wort­lichen Posi­tionen für die Psychiatrie in Reinickendorf und im damaligen Wedding einen Verein, um mit dessen Hilfe an diesen Verhält­nissen etwas zu ändern und eine Reihe von Aufgaben zu lösen. Zu diesen Menschen gehörten der ärztliche Leiter und der Verwaltungs­leiter sowie verschiedene Abteilungs­leiter der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Sie waren gemein­schaftlich zu der Über­zeugung gelangt, dass eine große Zahl der damals in der Klinik behandelten Menschen außer­halb des Kranken­hauses leben könnten, wenn dort ange­mes­sene Arbeits-, Wohn- und Lebens­räume zur Verfügung stünden. Der Grund­idee zufolge sollten nicht Konzepte entwickelt und die passenden Menschen für diese Konzepte gesucht werden, sondern umgekehrt sollten für die psychisch kranken Menschen passende Konzepte entwickelt werden. Auch die für Gesundheit und Soziales verant­wort­lichen Bezirks­stadt­räte in Reinickendorf und Wedding teilten diese Ideen; so beschlossen sie zur Lösung ihrer Aufgaben gemeinsam mit den Initiatoren die Gründung des „Träger e.V.“.

Die damaligen Vereins­gründer hatten aber nicht nur die Absicht, für die Lang­zeit­patien­ten neue Lebens­räume zu schaffen, sondern sie wollten zugleich neue Strukturen zwischen der Klinik und den Einrich­tungen und Diensten außer­halb des Kranken­hauses entwickeln. In ihrer Vision sollten die Mitarbeiter­in­nen der Klinik eng mit den Einrich­tungen und Diensten „draußen“ zusammen­arbeiten und damit verhin­dern, dass erneut Menschen das Schicksal der Lang­zeit­patienten erleiden müssen. Erfolg­reich konnte dieser Gedanke nur sein, wenn die Einrich­tungen und Dienste in den Bezirken gemein­sam die Verant­wor­tung für alle psychisch kranken Bürger über­nehmen würden und deshalb für jeden Menschen immer wieder neu individu­elle Behandlungs- und Betreuungs­konzepte realisieren würden. Nicht die Menschen sollten sich den Konzepten anpassen müssen, sondern die Konzepte den Menschen.

Um diesen Gedanken umzusetzen, wurde in der Vereins­gründung bereits bei der Zusammen­setzung der Vereins­mit­glieder sorg­fältig darauf geachtet, Mitarbeiter­in­nen der Klinik, meist in verant­wort­licher Funktion, und Menschen aus der psychia­trischen oder sozialen Arbeit, die nicht in der Klinik, aber für die Bezirke Reinickendorf und Wedding tätig waren, zusammen­zuführen. Wichtig war dem Verein die Begegnung von Menschen, die „drinnen“ oder „draußen“ arbeiten, von Fach­leuten und Politikern, von Mitarbeiter­in­nen mit Leitungs­auf­gaben und Mitarbeiter­in­nen von der Basis, von Entschei­dungs­trägern und regio­naler Öffent­lich­keit. Er wollte mit dieser Zusam­men­setzung die Voraus­setzung schaffen, Projekte, Haltungen und Entwick­lungen durch­setzen und sich zugleich in hohem Maße transparent machen zu können. Der Verein blieb immer sehr klein, mehr als 12 Mitglieder nahm er nicht auf.

Diese Konstruktion erleichterte es in der Folge dann auch tatsäch­lich, Enthospi­tali­sierungs­projekte für die ehema­ligen Lang­zeit­patienten in ganz enger Zusammen­arbeit der Klinik mit den Bezirken zu entwickeln. Zugleich aber konnte mit Hilfe dieser perso­nellen Zusammen­setzung auf grund­sätz­liche Struk­turen in den Bezirken und in der Klinik einge­wirkt und eine enge Verzah­nung des Kranken­hauses mit dem soge­nannten „ambulant-komplementären“ Bereich geschaffen werden. Denn die Vereins­mit­glieder trugen ja die Verant­wortung für ihre Arbeits­bereiche und konnten daher die Gedanken, die im Verein erörtert worden waren, in ihre jeweiligen Arbeits­bereiche weiter­tragen.

Einfluss auf verschiedenen Wegen
Grundsätzlich tat „der Verein“ sehr wenig: In nahezu allen Fällen ent­standen Ideen für Projekte bei Mitarbeiter­in­nen der Klinik oder außer­halb der Klinik vor dem Hinter­grund ihres jewei­ligen Arbeits­alltags. Die Rolle des Vereins beschränkte sich in den ersten Jahren sehr weit­gehend darauf, diese Ideen aufzu­greifen, auf bestimmte Strukturen bei der Projekt­ent­wicklung zu achten (z. B. Beteiligung aus der Klinik, den Sozial­psychia­trischen Diensten und aus anderen Bereichen außer­halb der Klinik, Herstellung einer möglichst breiten Fach­öffent­lichkeit in den Psycho­sozialen Arbeits­gemein­schaften, Integra­tion der Sicht­weise verschie­dener Berufs­gruppen) und die Projekte dann unter fort­dauern­der Beteiligung der Planer­in­nen zu realisieren. Manche Konzepte, z. B. das unserer ambulanten Betreuung psychisch kranker und sucht­kranker Menschen, wurden in bezirk­lichen Gremien, in diesem Fall in der Psycho­sozialen Arbeits­gemein­schaft, in vielen Sitzungen diskutiert und entwickelt.

Diese relative Zurück­haltung des Vereins als Organisation war möglich, da die Vereins­mitglieder in ihren beruf­lichen Haupt­tätig­keiten mit der Weiter­ent­wick­lung der psychia­trischen Versor­gung beschäftigt waren und die Vereins­ziele daher auch in ihren eigenen alltäg­lichen Arbeits­bereichen integrieren konnten.

Auf diese Weise entstanden zahl­reiche Einrich­tungen des Vereins: Wohn­gemein­schaften für Menschen mit einer geistigen Behin­derung und für sucht­kranke Menschen waren die ersten Projekte, die erste Zuverdienst­firma für psychisch kranke Menschen in Berlin („die Biber“) und ein Über­gangs­heim entstanden in rascher Folge. Weitere Wohn­gemein­schaften sowie ein Heim für Menschen mit einer geistigen Behin­derung mit hoch integra­tivem Anspruch (Wohnungen mitten in einer Wohn­anlage des sozialen Wohnungs­baus) wurden eröffnet. Der Sozial­psychia­trische Dienst Reinickendorf entwickelte, begleitete und verant­wortete ein Projekt zur Haus­pflege von psychisch kranken Menschen, das später im Sinne von Integration an Sozial­stationen abgegeben wurde. Die erste Wohn­ein­rich­tung für chronisch sucht­kranke Menschen, die den Konsum von Alkohol nicht mit Kündigung „bestraft“, entstand auf diese Weise als Antwort auf bestehende Konzepte. Nahezu gleich­zeitig wurde mit dem Aufbau von ambu­lanten Betreuungs­formen begonnen, wobei hier das Prinzip der Trennung von Betreuung und Wohnung, auch auf vertrag­licher Grund­lage, von Beginn an konsequent umgesetzt wurde. Mit dieser Struktur konnte auch eine große Zahl von Menschen, die viele Jahre auf der Lang­zeit­station der für Reinickendorf zuständigen Abteilung gelebt hatten, mit auch z. T. sehr intensiver Betreuung in Miet­woh­nungen an verschie­denen Stand­orten im Bezirk einziehen.

Schon sehr früh haben sich die ersten Einrich­tungen des Vereins dem sog. Pflicht­versorgungs­auftrag gestellt. Sie nahmen daher bewusst Abstand von den sonst üblichen „Bewerbungs­verfahren“ und stellten sich dem Anspruch, grund­sätzlich ihre Leistungen den Menschen zur Verfügung zu stellen, die der Hilfe und Betreuung am dringend­sten bedurften. Wer dies war, konnte nur gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Klinik, der Sozial­psychia­trischen Dienste und der anderen entsteh­enden oder schon vorhan­denen Organi­sa­tionen beurteilt werden. Aus der Notwen­digkeit, sich unter­einander über die Hilfe­bedürf­tig­keit der Klienten abzu­stimmen, entstanden die Vorläufer der heutigen Fall­konfe­renzen oder Steuerungs­runden. Mit diesem Anspruch, der sehr weit­gehend realisiert werden konnte, wurden viel­fältige Erfah­rungen mit der Umsetzung der regio­nalen Versor­gungs­verpflich­tung gemacht. Als ein Beispiel mag hierfür dienen, dass Patienten aus dem Maß­regel­vollzug vom Beginn des Über­gangs­heims an zum aufzu­neh­menden Personen­kreis gehörten, wenn sie aus Reinickendorf oder Wedding stammten.

Schon die Form der gemein­samen Planung und fort­dauernde Beratung, später die einrich­tungs­über­greifende Bele­gungs­steue­rung hatten Rück­wirkungen auf die anderen Einrich­tungen und Dienste in den Bezirken. Es konnten sich so Ansätze zu einer bezirks­weiten Haltung in der psychia­trischen Arbeit heraus­bilden, die die traditio­nellen Grenzen der Institu­tionen ein wenig überwand. Diese Entwick­lung mündete schließ­lich in der Verein­barung von gemein­samen Qualitäts­standards für die psychia­trische Arbeit im Gemeinde­psychia­trischen Verbund und der Gründung des Gemeinde­psychia­trischen Verbund Reinickendorf e.V. als einer verbind­lichen Verein­barung der psychia­trischen Akteure im Bezirk.

Aus der Erfahrung in Reinickendorf, dass die ein­deutige Zuordnung von Verant­wortung für ein Einzugs­gebiet und/oder ein Arbeits­feld (z. B. tages­struktu­rie­rende Hilfen oder Betreutes Wohnen) den Trägern die Beteil­igung an der Versor­gungs­ver­pflich­tung erleichtert, war der Verein auch bereit, Einrich­tungen an andere Orga­ni­sa­tionen im Wedding zu über­tragen. Diese Bitte war an ihn heran­getragen worden, um auch dort bezirk­liche Strukturen zu schaffen, die eindeutige Verant­wor­tungs­bereiche definieren sollten. Da das Über­gangs­heim bis dahin sowohl für Reinickendorf wie auch für Wedding zuständig gewesen war, wechselten 10 Bewohner und einige Mit­arbeiter­in­nen des Über­gangs­heims räumlich und materiell zu einem Träger im Bezirk Wedding. Auch die Zuver­dienst­firma „die biber“, die im Wedding liegt, wurde an eine andere Organisation übertragen.

Rechtsformänderung
Im Jahr 2004 beschloss der Verein, seine Rechts­form zu ändern. Aus dem ursprünglich kleinen Verein war nach 15 Jahren ein Betrieb mit über 200 Mitarbeiter­in­nen gewachsen. Schon seit 1989 wurden die Geschäfte von einem haupt­amtlich angestellten und seit Anfang der 90er Jahren general­bevoll­mäch­tigten Geschäfts­führer geleitet. Dennoch steht in einem Verein der Vorstand immer für alle Geschäfte mit in der Haftung. Im Rahmen einer vertrauens­vollen Zusammen­arbeit war diese Rechts­konstruktion über viele Jahre trag- und leistungsfähig.

Durch persönliche Verände­rungen, nicht zuletzt durch das Ausscheiden einiger Vorstands­mit­glieder aus dem Verein oder aus dem aktiven Berufs­leben, wurde aber die Neu­bestim­mung der Rechtsform notwendig. Der Verein hat sich nach ausführ­licher Diskussion zu einem ungewöhn­lichen Schritt entschlossen: Der e.V. wandelte sich im Sommer 2004 in eine gemein­nützige GmbH um. Aus den Vereins­mitgliedern wurden Gesell­schafter. Durch diesen Schritt konnte die Rechts­form der Realität angepasst und zugleich die Kontinuität aller handelnden Personen gewährleistet werden.

Weitere Projekte des Trägers

Als Träger gGmbH möchten wir durch die Implementierung von Projekten unsere Organisation weiterentwickeln und für Klient*innen und Mitarbeitende ein Umfeld schaffen, in dem auch sie sich entwickeln können. Im Folgenden finden Sie unsere aktuellen Projekte.

Projekt: Kulturwandel

Das 2016 verabschiedete Bundes­teil­habe­gesetz (BTHG) zur Stärkung der Teil­habe und Selbst­bestimmung von Menschen mit Behinderung hat, unter Einbeziehung der UN-Behinderten­rechts­konvention (UN-BRK), das Ziel Leistungen nach dem individuellen Bedarf auszurichten. Als Leistungs­erbringer sind wir davon unmittelbar betroffen. Die ICF-Orientierung, das Konzept der Funktio­nalen Gesundheit, bietet eine ideale Grund­lage die Teil­habe, Selbst­bestimmung und Sozial­raum­orientierung zu stärken.

Aus diesem Grund haben wir uns entschieden an dem Projekt „Kultur­wandel in der Einglie­derungs­hilfe“ teilzunehmen. Wir verstehen dies als Organisa­tions­entwicklung, um unsere Prozesse und Strukturen zu hinter­fragen, Partizipation ggf. auszu­weiten und mithilfe von Projekten der ICF-Orientierung gerecht zu werden. Für und mit unseren Klient*in­nen, aber auch für und mit unseren Mitarbeiten­den. Eine Unter­neh­mens­kultur auf- und auszubauen sehen wir als maßgeblich an.

In dem Projekt werden wir uns deshalb mit folgenden Fragen beschäftigen:

  • Mit welchen Methoden kann soziale Teilhabe gestärkt werden?
  • Wie lässt sich ein ICF-orientiertes Konzept der Funktio­nalen Gesundheit wirksam imple­men­tieren und wie können daraus pass­genaue Angebote entwickelt werden?
  • Wie lässt sich der Blick auf die Kompe­tenzen der Fach­kräfte richten, die indivi­du­ellen Einstellungs­pers­pektiven und die struktu­rellen Rahmen­bedingungen?